Hauptfach Demokratie: Verfassungsänderung in der TR

Basler Zeitung

28.9.2001

Hauptfach Demokratie: Die Türkei sitzt nach

Die Türkei ist gegenüber der EU mit einigen Hausaufgaben in der Pflicht: In 37 Punkten ändert sie ihre Verfassung. Die kurdische Sprache wird aufgewertet, die Gleichstellung der Eheleute eingeführt, die Todesstrafe partiell abgeschafft. Nächste Woche ist die Schlussabstimmung.

von Jan Keetman

Istanbul. Hausaufgaben sind lästig, und so hat man sich auch in der Türkei erst spät an die Hausaufgaben erinnert, die Brüssel unter dem Titel «Beitrittspartnerschaft» dem türkischen Staat aufgegeben hat. Nun muss das Parlament geradezu nachsitzen, um in aller Eile 37 Verfassungsänderungen durchzupauken; die Schlussabstimmung über das Paket soll nächste Woche stattfinden.

Das betrifft unter anderem den Gebrauch des Kurdischen in den Medien. Die sehr restriktiven Sprachverbote gegen das Kurdische wurden zwar schon 1991 gelockert, und seitdem ist es im Prinzip nicht mehr verboten, eine Zeitung in kurdischer Sprache herauszugeben oder eine Kassette mit kurdischer Musik zu verkaufen. Die Lockerung galt aber nicht für Radio und Fernsehen. Wegen dieser Verbote wanderte ein Teil der Kurdisch sprechenden Bevölkerung zum Satelleitenfernsehen und zu ausländischen Radio- und Fernsehprogrammen ab.

Damit entschlüpften diese Hörer und Seher kurdischer Programme auch dem Wirkungsbereich der gegen den Separatismus gerichteten Gesetze. So erwies sich Ankara mit dem Sprachverbot zunehmend selbst einen Bärendienst. Die Verfassungsänderung gewährleistet nun die Publikations- und Informationsfreiheit unabhängig von der benutzten Sprache, sofern nicht die «nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die allgemeinen Sitten und Gesundheit» beeinträchtigt werden.

Kein kurdischer UnterrichtNicht berührt von der Änderung ist das Verbot von kurdischem Unterricht. Selbst in der Erwachsenenbildung darf Kurdisch in der Türkei offiziell nicht gelehrt werden. Kurden, die zum Beispiel die Sprache ihrer Vorfahren lernen oder das Kurdische, das sie als häuslichen Dialekt erleben, auch als Schriftsprache kennenlernen wollen, müssen dies weiterhin heimlich tun. Die Meinungsfreiheit stärken zwei andere Neuerungen, in denen erstmals ein allgemeines Recht auf die Gründung von Vereinen anerkannt wird sowie das Recht, sich ohne Waffen zu versammeln und zu demonstrieren. Das heisst: Was fortan nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. Bisher sah die Praxis des Demonstrationsrechts, vor allem durch das Visier eines Polizeihelms betrachtet, so aus, dass alles strengstens verboten war. Es sei denn, es war ausdrücklich erlaubt oder störte die bestehende Ordnung nicht. Das führte dazu, dass selbst Studenten, die für die Reparatur ihrer nach einem Erdbeben einsturzgefährdeten Hörsäle demonstrieren wollten, am Ausgang der Universität mit Knüppeln auseinandergetrieben und auf die Wache geschleift wurden.

Eine unbestreitbare Verbesserung ist der in die Verfassung einzufügende Satz, dass die Ehepartner gleichberechtigt sind. Auf dem weiten Feld der Gleichstellung der Geschlechter liefern sich progressive und konservative Abgeordnete allerdings noch Schlachten in den Ausschüssen des Parlamentes. Dabei spielen die weiblichen Abgeordneten wegen ihrer geringen Zahl (rund vier Prozent) kaum eine Rolle. Der neue Zusatz in der Verfassung dürfte den Frauen dennoch etwas den Rücken stärken.

Eine der wichtigsten Änderungen, die auch in Europa viel Aufmerksamkeit finden dürfte, ist die partielle Abschaffung der Todesstrafe. In der Verfassung wird nun festgeschrieben, dass die Todesstrafe nur noch im Falle «naher Kriegsgefahr» oder von «Terrorismus» verhängt werden soll. Manche Juristen sehen in dieser Änderung allerdings keinen Fortschritt, sondern eher eine Fessel, die von der EU letztlich geforderte gänzliche Aufhebung der Todesstrafe durchzusetzen. Werde doch durch diesen Zusatz die Todesstrafe in der Verfassung überhaupt erst erwähnt, was ihre gänzliche Aufhebung erschwere, da eine Verfassungsänderung eine grössere Mehrheit im Parlament braucht als die Änderung eines einfachen Strafgesetzes. Für Streit unter den Verfassungsrechtlern des Landes ist damit weiterhin gesorgt.

Die Wirkung der Reform

Abzuwarten bleibt die Wirkung der Reform, sobald sie durch die Mühlen von Justiz und Verwaltung gedreht und so in der Wirklichkeit der Türkei angekommen ist. Immerhin:

Die Änderung der unter der Militärherrschaft nach dem Putsch von 1980 ausgearbeiteten und durch ein Referendum angenommenen Verfassung ist ein Schritt nach Europa.

 

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kurdi-almani-kassel/aktuelF200 1 /sept200 1 /tk-hau... 06.02.2005

Hauptfach Demokratie: Verfassungsänderung in der TR

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kurdi-almani-kassel/aktuelF200 1 /sept200 1 /tk-hau... 06.02.2005

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