Demokratie in der Türkei

FB8/Politikwissenschaft1997/8: DEMOS-Projekt

"Enzyklopädie demokratischer und demokratisierender Systeme "

Die Türkei

Wie demokratisch ist die Türkei?

Das Jahr 1994 war ein "gutes Jahr für die Freiheit". Von den insgesamt 191 Staaten der Erde werden nunmehr 114 demokratisch regiert. Das ist die trotz vieler Konflikte, Kriege und innerer Instabilitäten in zahlreichen Ländern überwiegend positive Bilanz der New Yorker Menschenrechtsorganisation "Freedom House". Bette Bao Lord, die Vorsitzende der Institution, die im Jahr 1941 als unparteiische und gemeinnützige Einrichtung gegründet wurde, sagte bei der Vorstellung der diesjährigen Ergebnisse: "Niemals zuvor haben so viele Länder versucht, demokratischen Regeln zu folgen. Die Zunahme freier Gesellschaften, wie bescheiden auch immer, zeigt an, daß der dramatische Verfall der Freiheit im vorangegangenen Jahr nachgelassen hat." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Dezember 1994, Nr. 303)

Nach den Untersuchungen von Freedom House ist die Türkei eine "teilweise freie Demokratie". Freedom House beobachtet die politische Rechte und die bürgerlichen Freiheiten in einem Land und ordnet jedes Land nach einem differenziertem Punktesystem ein.

Die drei Hauptkategorien sind dabei:

Der Grund warum die Türkei in die Kategorie "teilweise freie Demokratie" eingestuft wird, liegt laut den Meßverfahren von Freedom House primär an ethnischen Konflikten im Lande. Verbunden mit diesen spielen auch Menschenrechtsverletzungen eine Rolle. Jedoch weist Freedom House in den Berichten darauf hin, das die Türkei mit Israel, die einzige Demokratie im mittleren Osten ist. Bei dem Punktesystem von Freedom House (Bewertungsskala: 1-2,5=freies Land, 2-5,5=teilweise freies Land, 5,5-7=nicht freies Land), liegt die Türkei in der Bewertung folgendermaßen: 1995 bezüglich der politischen Rechte = 5 (1993=4), und bezüglich der bürgerlichen Freiheiten = 5 (1993=4). Die Kriterien dieser Bewertungen sind anhand von Fragen definiert.

Eine weitere Messung des Demokratiegrades kann man anhand einer Methode von Tatu Vanhanen machen. Es gibt bei Vanhanen einen Demokratisierungsindex von 0 (keine Demokratie) bis 100 (vollentfaltete Wettbewerbsdemokratie). Berechnet wird der Index durch Multiplizieren von Partizipation und Wettbewerb dividiert durch 100. Die Türkei erreicht bei dieser Methode einen Wert von 12. Also einen relativ niedriger Wert.

Nun trotzdem muß noch erwähnt werden, daß beide Meßmethoden einen anderen Demokratiebegriff zugrunde legen. Während Freedom House, die Messung der Demokratie mit Fragen zu politischen Rechten und zu bürgerlichen Freiheiten bewertet, wird bei der Methode von Vanhanen stärker auf den Wettbewerb und auf die Wahlpartizipation eingegangen. Freedom House legt somit mehr Wert auf die Freiheit des Individuums sowie auf die tatsächliche Durchsetzung der vorhandenen Macht.

Wie und wann verlief die Demokratisierung in der Tärkei?

Die Demokratisierung der Türkei ist ein lange Geschichte gefällt mit vielen Spannungen und Uneinigkeiten der herrschenden bzw. Herrschaft anstrebenden Elite.

Samuel Huntington beschreibt in seiner Analyse "Die drei Wellen der Demokratisierung", das die Türkei in den späten 40ern die ersten Schritte zu einer "akzeptablen" Demokratie machte. Diese Entwicklung ist in die zweite Demokratisierungswelle einzustufen. Doch kurz danach kommt schon die Gegenwelle in den 60ern durch die Machtübernahme des Militärs. Weitere Militäreingriffe folgen in den Jahren 1971 und 1980. Huntington liegt mit seiner Bewertung richtig, auch wenn schon 1923 die Republik ausgerufen wurde oder schon 1920 das erste Parlament eröffnet wurde, kann man noch nicht von einer Demokratie sprechen, da viele Bedingungen einer gut funktionierenden (oder überhaupt funktionierenden) Demokratie noch nicht erfüllt waren. Natürlich hatte nicht jede Reform die Absicht der Demokratisierung, jedoch ist nicht abzustreiten das Europa als Leitbild für die Reformen galt. Die Reformen werden auch als "Erziehungsdiktatur" angesehen. Die "Erziehungsdiktatur" ist in der neueren europäischen Geschichte nur mit den Reformen von Peter d. Großen zu vergleichen. 1926 war eine erhebliche Veränderung des Landes geprägt durch die Übernahme verschiedener Gesetzbücher. Das Bürgerliche Gesetzbuch wurde aus der Schweiz, das Handelsgesetzbuch aus Deutschland und das Strafgesetzbuch aus Italien übernommen. Erst 1934 erhielten Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Jedoch geschah all dies unter einem System das nur eine einzige Partei politisch erlaubte, damals die CHP (Cumhuriyetci Halk Partisi / Republikanische Volkspartei). Erst 1946 kam der Übergang, unter anderem durch Druck aus dem Westen, zu einem Mehrparteien System. Wahrscheinlich ist auch dieses Ereignis Ausgangspunkt von Samuel Huntington. Mit dieser Veränderung waren die Grundlagen für die Demokratie geschaffen.

 

Informationen über den Autor: Mustafa Giitigör E-Mail an den Autor:

MustafaG@uni-bremen.de -

http://www-user.uni-bremen.de/-demos/turkey 1d.htm

06.02.2005

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