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Landshuter,Straubinger, Samstag, 19. Juni 2004

Das komplizierte Steuersystem radikal vereinfachen

Von Hans Tietmeyer, Ex-Bundesbankpräsident

Politiker quer durch das demokratische Spektrum haben das Thema Steuervereinfachung entdeckt. Kein Zweifel, die Forderung ist populär. Denn im Lauf der Jahre ist unser Steuerrecht immer komplizierter geworden. Selbst Fachleute überschauen kaum noch alle Vorschriften, Vergünstigungen und Ausnahmetatbestände.

Die Vielfalt der Sonderregeln behindert nicht nur die Funktionsfähigkeit von Markt und Wettbewerb, seine Komplexität macht unser Steuersystem auch ungerecht. Weder werden gleiche Einkommen gleich besteuert, noch wird bei der Verteilung der Steuerlast das verfassungsrechtlich gebotene Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit beachtet. Wer das nötige Wissen hat oder einkaufen kann, ist in der Lage, seine Steuerschuld deutlich zu verringern. Daher kommt die vielfach zu hörende Auffassung, Steuern seien eine Strafe für die "Dummen und Ehrlichen". Deshalb ist die Forderung nach Vereinfachung grundsätzlich zu begrüßen. Kritikwürdig ist allerdings die Oberflächlichkeit mancher Diskussionsbeiträge. Das Thema ist zu ernst dafür.

Jüngst hat das World Economie Forum (WEF) unserer Finanzverfassung den Spiegel vorgehalten: Im "Global Competitiveness Report" rangiert Deutschland bei der Effizienz seines Steuersystems als weltweites Schlusslicht, und bei der Bewertung des so genannten Umfangs verzerrender staatlicher Subventionen wurde nur ein drittletzter Platz erreicht.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass es für vieles, was wir tun, Geld vom Staat gibt. Ob es dabei um die Eigenheimzulage geht oder um die Pendlerpauschale. Erinnern wir uns an das jüngste Vermittlungsverfahren im Bundesrat. Im Südwesten wurde die Eigenheimzulage verteidigt, in den Flächenländern pochte man auf die Pendlerpauschale unter Berufung auf lange Wege zur Arbeit. So teuer, wie das Benzin sei, könne man eine Streichung nicht verkraften.

Der Treibstoff ist aber unter anderem auch deshalb so kostspielig, weil der Gesetzgeber die Bürger über die Ökosteuer zu umweltbewusstem Verhalten erziehen wollte. Mit den Ökosteuereinnahmen subventioniert er dann die Rentenversicherung quer - übrigens ohne dass das Ziel, die Rentenbeiträge nachhaltig zu stabilisieren, erreicht worden wäre.

Dies ist nur ein Beispiel aus dem Gestrüpp von Abgaben, Vergünstigungen und Ausnahmetatbeständen, mit denen der Gesetzgeber unzählige Lenkungs- und Verteilungsziele verfolgt, die sich teilweise widersprechen und deren Gesamtwirkung kaum noch zu ermitteln ist.

Die im Individualfall kleinen Vergünstigungen, die der Staat gewährt, türmen sich überdies zu Milliardenbeträgen. Dazu addieren sich wettbewerbsverzerrende Subventionen zum Beispiel für längst nicht mehr profitable Wirtschaftszweige - zum Beispiel die deutsche Steinkohle. Dieses ganze System ist teuer, undurchschaubar - und wachstumsfeindlich. Denn Subventions- und Ausnahmetatbestände verzerren die Marktpreise und verleiten Bürger sowie Unternehmen dazu, ihre wirtschaftlichen nachhaltige Aktivitäten an der staatlichen Förderung zu orientieren. Auf diese Weise werden Investitionen häufig in unproduktive Verwendungen gelenkt. Ein warnendes Beispiel sind die vielen leer stehenden Immobilien in den neuen Bundesländern. Zum Leerstand kam es, weil diese Investitionen steuerlich subventioniert wurden.

Was viele gerne verdrängen:Das Geld für die vermeintlichen Steuergeschenke und Subventionen holt sich der Staat von seinen Bürgern und Unternehmern zurück. Es fehlt dann für Zukunftsinvestitionen.

Die solchermaßen ausgeuferten Staatsausgaben tragen überdies dazu bei, dass die öffentliche Schuldenlast auf mehr als 1,3 Billionen Euro angewachsen ist. Wer sie zurückführen und gleichzeitig die notwendige nachhaltige Entlastung der Bürger und Unternehmen erreichen will, muss bei den teuren "Staatsgeschenken" entschlossen den Rotstift ansetzen.

In dieser Lage votieren viele Ökonomen, die wir im Rahmen unserer Initiative befragt haben, für den Subventions- und Vergünstigungsabbau nach der Rasenmähermethode, weil die Mehrheit unter ihnen etwas anderes politisch nicht für durchsetzbar hält. Spürbar wäre eine anfängliche Schnitttiefe von 20 oder 25 Prozent.

Ökonomisch wirksamer wäre natürlich ein differenzierter Subventionsabbau, bei dem die teuersten und unsinnigsten Vergünstigungen zuerst angepackt werden. Dies scheitert aber am Widerstand der Partikularinteressen.

Die meines Erachtens beste Lösung, um mehr Wachstum und Beschäftigung auszulösen, wäre aber eine radikale Reform unseres Steuer und Finanzsystems. Die Bundesregierung sollte diesen finanzpolitischen großen Wurf wagen: Sie sollte das Steuerrecht radikal vereinfachen, Ausnahmen und wettbewerbsverzerrende Subventionen möglichst vollständig streichen und die Steuersätze drastisch senken. Diese Reform könnte sich am Konzept des früheren Bundesverfassungsrichters Paul Kirchhof, Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, orientieren.

Neue Soziale

Marktwirtschaft

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) wurde von führenden Wirtschaftsverbänden ins Leben gerufen; sie wird von zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt. Ihr zentrales Anliegen sind marktwirtschaftliche Reformen. Damit ist gemeint: In Deutschland steckt der Karren so im Dreck, dass ihn niemand rasch flottmachen kann. Für jede Regierung, egal welcher Couleur, gilt: Um die Massenarbeitslosigkeit nachhaltig zu senken, bedarf es grundlegender Strukturreformen. Um den Staatshaushalt zu sanieren, braucht es viele Jahre - nicht Monate. Um die Sozialsysteme an die Altersentwicklung der Bevölkerung anzupassen, ist ein Denken in Generationen und nicht in Wahlzyklen erforderlich.

Hauptziel der INSM ist, die Arbeitslosigkeit zu senken. Sie will dazu beitragen, dass Deutschland nicht länger auf einen der letzten Plätze im Wachstumsvergleich der europäischen Länder aufscheint.