Straubinger, 13.Febr2006
Staatsbürgerkurse sollen zur Pflicht werden
Einheitliche Regelung vor Einbürgerung - Bessere Sprachförderung von Kindern gefordert

Frankfurt/Main. (AP/dpa) Die Bundesregierung will Staatsbürgerkurse bei der Einbürgerung von Ausländern zur Pflicht machen. Eine entsprechende bundesweit einheitliche Regelung dazu strebt die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer an. "Wir bürgern schließlich jemanden in Deutschland ein, und nicht in ein Bundesland", sagte die Staatsministerin im Kanzleramt. Weitgehend Einigkeit herrscht unter den Parteien auch, dass für die Sprachförderung gerade bei Kindern mehr getan werden müsse.

Böhmer bereitet derzeit ein Konzept für eine neue Integrationspolitik der Bundesregierung vor. Ihr gehe es "um Hilfe für diejenigen, die sich einbürgern lassen wollen". Wer sich um einen deutschen Pass bewerbe, solle in einem Staatsbürgerkurs die Gelegenheit erhalten, sich mit unserer Verfassung, unserer Geschichte, aber "auch mit unseren Werten" zu beschäftigen.

Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach hält einheitliche Tests für nötig: "Es ist nicht hinnehmbar, wenn die Einbürgerungsvoraussetzungen in den Bundesländern ganz unterschiedlich sind." Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hingegen lehnte formalisierte Einbürgerungstests ab. Er bezweifle deren Sinn für Einwanderer, die sich teilweise schon zehn oder 15 Jahre im Land aufhielten. "Der Schwerpunkt sollte vielmehr bei Integrationskursen für neu ins Land kommende Zuwanderer liegen", sagte Körting.

Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch (SPD) sprach sich grundsätzlich gegen Einbürgerungstests für Ausländer aus. Er versperre sich allerdings keiner vernünftigen Lösung, um zu sehen, ob jemand auf dem Boden "unserer Verfassung steht und den demokratischen Konsens achtet". Verbesserungen forderte der Politiker bei den Deutschkursen für Ausländer. Da gebe es noch Defizite.

Die Integrationsbeauftragte Böhmer mahnte mehr Investitionen für die Sprachförderung von Kindern an. Jeder Euro, der für diese Aufgabe in die Fort- und Ausbildung von Erzieherinnen investiert werde, zahle sich mehrfach aus, sagte die CDU-Politikerin. Bereits im Kindergarten müsse mit der Förderung begonnen werden.

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christoph Böhr forderte ein verpflichtendes Vorschuljahr mit einer verbindlichen Sprachprüfung am Ende. Eltern, deren Kinder daran nicht teilnähmen, sollten künftig ein Bußgeld bezahlen, sagte Böhr.

CSU-Generalsekretär Markus Söder regte darüber hinaus die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen an. Es müsse alles getan werden, um die Entwicklung von Parallelgesellschaften zu verhindern.

Ähnlich äußerte sich die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth. Sie forderte zudem eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die - vergleichbar zu christlichen Kirchen und Zentralrat der Juden - die muslimischen Glaubensgemeinschaften vertreten Integration sei nicht allein auf die Sprache zu reduzieren. "Ein Schlüssel ist die rechtliche Anerkennung, und da haben wir massive Defizite", sagte Roth.

R.Kiehl: Nach meiner Ansicht ist es schon sinnvoll, wenn in Ermangelung einer bundesdeutschen Regelung Bundesländer eigene Regelungen einführen. Vor allem, wenn diese nicht das Grundgesetz unterschrieben haben und immer noch Freistaat in einem förderalistischen Europa sind: Bayern sollte vor allem schauen, daß es in dieser EU mit anderen Verbündeten als den restlichen bundesdeutschen "Ländern" Verträge abschließt (wie mit Österreich, der CZ, mit Ungarn, der Schweiz...)....und vor allem selbständig in dieser EU in seinem Interesse handelt...Ein Islam-Unterricht in Schulen ist nicht sinnvoll, denn im Gegensatzl zu einer Integration fördert dieser die Parallelgesellschaften ...Wir benötigen genauso wie andere Länder Einbührgerungstests und -prüfungen.

Financial Times Deutschland, 15. Febr2006 (E.16.Febr2006)
Das Ende des Nationalstaats
"Was kommt nach der Globalisierung?", fragt Vordenker Kenichi Ohmae. Die FTD druckt Auszüge aus seinem provokanten neuen Buch, das nächste Woche erscheint.
VON KENICHI OHMAE

Solange unser Denken von den Atlanten der Vergangenheit mit ihren bunten Ländermustern geprägt ist, erscheint uns die Global Economy seltsam und fremd. Wenn wir beginnen, uns aus der Zwangsjacke des alten Denkens zu befreien, ergibt die Global Economy nicht nur mehr Sinn, sie erscheint uns auch als Kontinent der Möglichkeiten, dessen Umrisse stellenweise noch vage bleiben, der aber den mutigen Kundschafter reichlich belohnt.

Für mich ist die eigentliche geografische und ökonomische Einheit der Global Economy die Region. Wenn wir die Region in den Mittelpunkt stellen, müssen wir unsere Sichtweise der Welt radikal überdenken. An erster Stelle unter den obsoleten Begriffen steht der Nationalstaat. Er war der Schauplatz der politischen und wirtschaftlichen Aktivität. Weil er so starr und unbeweglich ist, halten ihn viele für alt und ehrwürdig. Das ist ein Fehler. In der menschlichen Geschichte ist er lediglich ein später Eindringling, der erstmals in der Mitte des 16. Jahrhunderts auftauchte.

Damals gab es eine politische Institution von großer geografischer Ausdehnung: das Heilige Römische Reich. Die Stärke, über die es verfügte, resultierte einzig aus seiner Masse, der Einheit seiner Teile. Ein echter Nationalstaat benötigte Verwaltung, Polizei und Armee, aber die mussten bezahlt werden. Das ließ sich am effektivsten mit der Erhebung von Steuern lösen. Dafür wurden wiederum Finanz- und Zollbeamte benötigt. Polizisten mussten über das Gewaltmonopol des Staates wachen und Soldaten seine Grenzen schützen. So wurde schon früh deutlich, dass der Nationalstaat ein teures Idealgebüde war. Wie die Anhänger eines großen Staatsapparates leidvoll lernen mussten, sind damit auch große Kosten verbunden.

Für viele Staatsverfechter war die Idee der zentralisierten nationalen Regierung modern und zukunftsweisend. Regional stand häufig für Begrenztheit, Engstirnigkeit und Nabelschau. Beschränkte Gebiete erzeugten beschränkte Sichtweisen. Wer in kleinen Einheiten dachte, übersah die großen Zusammenhänge. Aber das hat sich geändert. Im 21. Jahrhundert gilt nunmehr das Gegenteil.

Der Nationalstaat ist zum Inbegriff der Rückständigkeit geworden, während häufig Regionen (wenn auch beileibe nicht alle) nach außen hin beweglich sind und in den Dimensionen einer Welt ohne Grenzen denken. Sie blicken bei ihrer Suche nach Kapital, Technologie und Märkten auf die übrige Welt. Sie brauchen nicht selbst über sämtliche Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Erfolgs zu verfügen, solange die Welt für sie und mit ihnen arbeitet.

Ein Regionalstaat ist keine politische, sondern eine wirtschaftliche Einheit. Einige Regionalstaaten fallen mit politischen Einheiten zusammen. Singapur beispielsweise ähnelt mit seinem winzigen Territorium mehr einem Stadtstaat als einem souveränen Nationalstaat. Irland ist ebenfalls in der glücklichen Lage, sich der Global Economy öffnen zu können, ohne auf die traditionellen Insignien der staatlichen Verfassung verzichten zu müssen.

Ein wesentlicher Aspekt des Regionalstaats ist seine Fähigkeit, einen positiven Rückkopplungseffekt zu erzeugen. Je mehr Menschen ihre unterschiedlichen Lebenseinstellungen und Fähigkeiten einbringen, desto vielfältiger wird die Region. Fertigungsbetriebe ziehen mit der Zeit immer mehr Dienstleistungsanbieter wie Kreditinstitute nach sich. Ein positiver Kreislauf beginnt, der die Region auf eine tiefere und breitere wirtschaftliche und geschäftliche Basis stellt.

Die Zahl der potenziell erfolgreichen Regionalstaaten ist groß. Viele (vermutlich die meisten) werden dieses Potenzial nicht realisieren. Ein wichtiges Kriterium ist Entscheidungsfreude, denn nichts führt schneller in den kommerziellen Ruin als ein unklares Profil. Es ist unmöglich, auf allen Hochzeiten zu tanzen. Deshalb ist es so wichtig, Merkmale zu entwickeln und hervorzuheben, die die Region vor allen anderen auszeichnen.

Damit steigen die Bedeutung und die Macht von Plattformen. Sie erlauben Unternehmen und Individuen, miteinander zu kommunizieren. Sie leisten dies, indem sie gemeinsame Standards setzen, die von allen Beteiligten als Norm akzeptiert werden. Plattformen gibt es seit langer Zeit. Jedes Schriftsystem ist eine Plattform, ebenfalls jede Sprache. Die Sprache der Global Economy ist Englisch. Wer mit Menschen jenseits seiner Grenzen kommunizieren will, lernt Englisch. Es lässt sich sagen, dass niemand in der Global Economy konkurrieren kann, der des Englischen nicht mächtig ist.

Englisch ist in China mittlerweile die mit Abstand meistgelernte Fremdsprache. In Shanghai beginnt der Englischunterricht in der ersten Klasse. Daneben gibt es mindestens 1000 Englischschulen, die zum Teil hohe Gebühren verlangen.

Li Yang ist Englischlehrer. Sein "Crazy English" genannter Unterrichtsstil besteht darin, Slogans und Schlagwörter gegen eine Geräuschkulisse aus Rockmusik anzuschreien und seine Schüler zum Nachahmen aufzufordern. Er besucht monatlich rund ein Dutzend Provinzstädte, wobei seine Besucher Stadien mit 20 000 bis 30 000 füllen. Li Yang verteidigt seine Mission mit den Ich mache das nicht aus Liebe zu Amerika. Es einfach Tatsache, das Englisch der Weltstandard ist und Coca-Cola und Microsoft das Sagen haben."

 

14.Febr2006
UN-Inspektor nimmt Schulen unter die Lupe
Munioz untersucht Verwirklichung des Rechts auf Bildung - Besuch löst Strukturdebatte aus

Berlin. (AP/dpa) Das deutsche Bildungssystem wird seit Montag von einem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen auf Chancengleichheit für alle untersucht. Bis zum 21.Februar will sich Vernor Munioz Villalobos in Kindergärten, Schulen und Hochschulen einen Überblick über die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen verschaffen. Der Besuch löste eine neue Debatte über die gegliederte Struktur des deutschen Schulsystems aus.

Anlass für die Mission des UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und Chancengleichheit sind offenbar auch die Pisa-Bildungsvergleiche, die für Deutschland einen überdurchschnittlich starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ergeben hatten. Bundesbildungsministerin Annette Schavan traf am Montag zu einer halbstündigen Unterredung mit Munioz zusammen, über deren Inhalt nichts mitgeteilt wurde.

Schavan verteidigte das gegliederte deutsche Schulsystem ausdrücklich. Deutschland habe ein Bildungssystem, das in den letzten Schuljahren vor allem in der beruflichen Bildung eine sehr große Chancengleichheit vermittele, sagte die CDU-Politikerin. Jetzt müsse die Chancengerechtigkeit noch stärker für die ersten Bildungsjahre verwirklicht werden. "Es werden keine Strukturdebatten geführt." Aber die Entscheidung, nach Klasse vier oder sechs im gegliederten Schulsystem weiterzugehen, dürfe nicht eine Entscheidung für einen Schulabschluss sein.

Die Linksfraktion im Bundestag hingegen machte das gegliederte Schulsystem für die Ungleichheit der Bildungschancen verantwortlich. Notwendig sei vor allem eine Schule für alle Kinder, sagte die bildungspolitische Fraktionssprecherin Nele Hirsch. "Wir müssen uns von dem Irrglauben verabschieden, es sei gerecht, Kinder im Alter von zehn oder elf Jahren ihrer Leistung entsprechend in verschiedene Schulformen zu sortieren."

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft warf Schavan vor, die Verhältnisse schön zu reden. Die Aufteilung zehnjähriger Kinder auf unterschiedliche Schulformen benachteilige Kinder, die auf Sonder- -und Hauptschulen geschickt werden, allein durch den Besuch dieser Schulen, erklärte Vizevorsitzende Marianne Demmer. Deutschland sei Weltspitze bei der Chancenungleichheit.

Der bildungspolitische FDP-Fraktionssprecher Patrick Meinhardt forderte, die frühkindliche Bildung und Betreuung zum Schwerpunkt zu machen. Schavan müsse hier ihre Verantwortung wahrnehmen und dürfe sich nicht hinter Zuständigkeitsfragen verstecken.

Munioz hat den Auftrag, weltweit die Verwirklichung des Rechts auf Bildung zu beobachten und der Kommission für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen zu berichten. Nach Informationen der GEW sieht sein Programm Besuche in unterschiedlichen Teilen des Landes vor. Es bezieht städtische wie ländliche Gebiete und Städte in den neuen Ländern ein. Vorgesehen sind auch Besuche in Städten, die mit bildungspolitischen Erfolgen oder Misserfolgen aufgefallen sind, sowie Diskussionen mit Schülern, Studenten und Lehrkräften.

Privatkassen sollen Ausgleich zahlen

Berlin. (AP) Große Krankenkassen haben Erwägungen der SPD begrüßt, private Krankenversicherer zu Ausgleichszahlungen an die gesetzliche Krankenversicherung heranzuziehen. Barrner-Vorstandschef Eckart Fiedler betonte am Montag, so würde der faire Wettbewerb zwischen den Versicherungssystemen gestärkt. Der Verband der Privaten Krankenversicherung wies den Vorstoß hingegen vehement zurück. Hintergrund sind Vorschläge des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, die Privatversicherer in den Finanzausgleich der gesetzlichen Kassen einzubeziehen. Fiedler erklärte, jährlich wechselten 200000 bis 300000 gesunde, gut verdienende Mitglieder von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung. Dadurch seien den gesetzlichen Kassen in den vergangenen fünf Jahren 1,23 Milliarden Euro an Einnahmen verloren gegangen.

R.Kiehl: siehe dazu die Dateien zu diesem Thema unter Wirtschaft/Invest und Publikationen....

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