Kommentar
DAS (AUS)STERBENDE VOLK
VON PETER LEYER

Amerika, du hast es gut. Dort gilt neuerdings Kinderreichtum als Statussymbol für Wohlstand, Sozialprestige und Optimismus. Wer etwas auf sich hält und das auch öffentlich zeigen will, schafft sich Kinder an. Je mehr, desto besser. Und wie ist es bei uns in Deutschland? Hier wissen wir seit der letzten Woche, dass im vergangenen Jahr rund 680 000 Kinder geboren wurden. So wenige waren es noch nie nach dem Krieg. Selbst im ersten Nachkriegsjahr 1946 waren es mehr. Die Zahlen haben zumindest einen Teil der Deutschen aufgeschreckt, einige vielleicht sogar alarmiert. Für sie stellt sich auf einmal konkret die Frage: Sind wir ein (aus)sterbendes Volk? Die Antwort ist leicht: Ja, wir sind es. Aber nicht erst seit 2005, sondern schon seit Jahrzehnten. Nur haben die meisten Deutschen es nicht wahrhaben wollen. Manche verweigern sich noch heute der Realität. Bereits vor 40 Jahren ließ der "Pillenknick", das Nutzen der Antibabypille zur Empfängnissteuerung und vor allem der Empfängnisverhütung die Zahl der Geburten in Deutschland zurückgehen. Die 68er-Generation setzte mit dem Slogan "Mein Bauch gehört mir" noch eins auf diese Entwicklung drauf. Es folgten der Hedonismus, die Devise, das Leben müsse vor allem Spaß machen, und die falsche Einschätzung, dabei würden Kinder nur stören. Nach der Wiedervereinigung sank bei den Menschen in den neuen Ländern die Zuversicht in die wirtschaftliche Entwicklung und die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit. Eine Folge war, dass man glaubte, sich Kinder nicht mehr erlauben zu können. Und bald ließen auch in den alten Ländern die stetig steigenden Arbeitslosenzahlen die jungen Menschen immer mehr auf Kinder verzichten. Die meisten Politiker haben ihre Augen vor der Entwicklung viele Jahre verschlossen. Zwar wurden Familien finanziell entlastet, wurde den Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Es wurden auch die Konsequenzen für die Sozialsysteme gesehen. Aber das geschah unter dem Blickwinkel der Familien- oder Frauenförderung oder der Sicherung der Sozialsysteme. Politiker wie Alfred Dregger, der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die vor einem sterbenden deutschen Volk warnten, wurden in die Ecke von "Blut-und-Boden-Politikern" gestellt. Allerdings waren es nicht nur die 68er oder viele Politiker, die die Augen vor den Folgen des sterbenden deutschen Volkes verschlossen. Auch die Wirtschaft ging ja den leichten Weg. Zunächst forderte sie den Import von Gastarbeitern, um die Produktion und die Gewinne weiter steigern zu können. Für die Integration der Arbeiter allerdings tat man wenig. Und als man sie wegen schwindender Aufträge oder wegen zunehmender Automatisierung der Produktionsprozesse nicht mehr brauchte, lieferte man sie als Arbeitslose bei Politik und Gesellschaft ab. Die heftigst geforderte "Green-Card" wurde gleich bei ihrer Einführung zum Flop. Vielleicht ein Glück. Denn vor allem die türkischen Gastarbeiter und deren Familienangehörige, von denen viele vor allem durch den Nachzug von Verwandten aus der Heimat inzwischen zu ständigen Arbeitslosen geworden sind, haben unser Land schon tiefgreifend verändert. Noch mehr Arbeitslose mit Migrantenhintergrund, also ausländische Arbeitslose mit uns Deutschen fremder Kultur, würden viele Deutsche vielleicht wirklich überfordern.

Deutschland, daran besteht kein Zweifel, optiert für die Kinderlosigkeit. Kurt Biedenkopf ist überzeugt: "Wir befinden uns im Übergang zu einer anderen Ordnung." Wollen wir das? Andere Ordnung wird ja möglicherweise nicht (nur) heißen weniger Deutsche, sondern weniger Deutsche bei immer mehr Einwohnern mit ausländischer Vergangenheit, und das heißt, mit anderen Wertvorstellungen. Die Deutschen brauchen ihr Land ja nicht zu lieben. Aber die Frage stellt sich schon, was uns Deutschland und seine künftige innere Verfasstheit bedeutet. Wollen wir nicht nur nehmen, sondern sind wir auch bereit zu geben? Die schwindende Kinderzahl ist nicht nur eine Geburtenkrise, sondern auch eine geistige Krise. Der müssen sich vor allem diejenigen stellen, die nein zu eigenen Kindern sagen. Sie genießen ihre finanzielle und mobile Freiheit auf Kosten derer, die unter Verzicht auf einen Teil eigenen materiellen Wohlstandes und unter Hintanstellung eigener Interessen Kinder anschaffen, großziehen und später für die Menschen sorgen lassen, die sich eigenen Kindern verweigert haben. Eine demografische Entwicklung kann nicht von heute auf morgen umgekehrt werden. Das ist eine Entwicklung über Generationen. Aber wenn nie damit begonnen wird, wird sich auch nie etwas ändern. Dann sind wir nicht nur ein sterbendes, sondern ein aussterbendes Volk.

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