Straubinger, 18.Nov 2004

Wirtschaftsweise fordern Milliarden-Einsparungen

Euro-Stabilitätspakt auch im Jahr 2005 in Gefahr - Wachstum reicht nicht aus, um Arbeitslosigkeit abzubauen - Bundesrat soll drastischem Subventionsabbau zustimmen

B e r 1 i n. (AP/dpa) Der verhalten Konjunkturaufschwung wird nach Einschätzung der "Fünf Weisen' schon 2005 wieder an Fahrt verlieren. Ein nennenswerter Rückgang der Massenarbeitslosigkeit ist damit nicht in Sicht. Zugleich ist das Ziel von Finanzminister Hans Eichel gefährdet, 2005 erstmals nach drei Jahren wieder die Defizitmarke des Euro-Stabilitätspaktes einzuhalten. Dies sei nur mit weitaus höheren Milliarden-Einsparungen möglich als bislang geplant.

Die Experten überreichten Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwoch ihr gut 850 Seiten starke Jahresgutachten. Bei seiner Prognose ist das Expertengremium pessimistischer als die Bundesregierung. Für 2005 erwarten die Wirtschaftsprofessoren nur ein reales Wirtschafts- wachstum von 1,4 Prozent - die Regierung 1,7 Prozent. Für das zu Ende gehende Jahr lauten die Voraussagen übereinstimmend 1,8 Prozent.

Von einer Wachstumsschwäche wollten die fünf Ökonomen aber nicht sprechen. "Man darf nicht von Abschwung reden und schon gar nicht von einem Beginn einer Stagnationsphase", sagte der Vorsitzende des Rates, Wolfgang Wiegard von der Universität Regensburg. Der Rat wies zudem auf die geringere Zahl der Arbeitstage im nächsten Jahr hin. Bereinigt um diesen Effekt wurde der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im nächsten Jahr 1,6 Prozent betragen, nach 1,3 Prozent 2004.

Als "nicht unerhebliche Risiken" nennen die Sachverständigen in ihrer Expertise eine weitere Aufwertung des Euro und einen "nochmals anziehenden Ölpreis". Die Hoffnungen beruhten darauf, dass die Konjunkturerholung nicht mehr nur von den Ausfuhren getragen werde und die Binnennachfrage anziehe - zumal die Exportdynamik nachlasse.

Das Wachstum reicht allerdings bei weitem nicht aus, um die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Der Sachverständigenrat rechnet damit, dass die Arbeitslosenquote bei 10,5 Prozent verharrt. Erstmals seit 2001 werde immerhin die Beschäftigung etwas zulegen. Die Hartz-IV-Reform nannte Wiegard eine der wichtigsten Arbeitsmarktreformen der letzten Jahrzehnte. "Die Wirkung wird aber einige Zeit dauern", sagte der Chef der "Fünf Weisen". Dass die Zahl der Arbeitslosen im Januar oder Februar vermutlich die Fünf-Millionen-Schwelle überschreiten wird, führt Wiegard auf "rein statistische Effekte", wie die Einbeziehung von rund 380000 erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern in die Statistik, zurück.

Im Konflikt mit den EU-Partnern um die jahrelang überhöhten Defizite zwingt der schwache Konjunkturaufschwung die öffentliche Hand zu weiteren Milliardenkürzungen: Um die maximal erlaubte Neuverschuldung von drei Prozent des BIP nicht wieder zu überschreiten, müssten Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen etwa zwölf Milliarden Euro zusätzlich sparen, forderten die Sachverständigen. Andernfalls werde Deutschland 2005 ein Staatsdefizit von 3,5 Prozent ausweisen. Eichel geht dagegen dem Vernehmen nach von einer Defizitquote von 2,9 Prozent aus. Dazu peilt er ein Sparpaket von 10,5 Milliarden Euro an.

Der Sachverständigenrat appellierte an den Bundesrat, drastischem Subventionsabbau zuzustimmen. Erstmals hielt er den Ländern offen "Blockade" vor. Wiegard erklärte, der Bund stecke in dem Dilemma, gegenüber Brüssel für das Staatsdefizit gerade stehen zu müssen. Doch seien die Länder mitverantwortlich, da sie selbst Kredite benötigten. Die Wirtschaftsweisen schlugen einen nationalen Stabilitätspakt vor, der eine Beteiligung der Länder an Sanktionszahlungen an die EU beinhaltet, was diese bisher strikt ablehnten.

Zudem sollen die neuen Ländern Geld aus dem Solidarpakt II zur Schuldentilgung nutzen.

Die Bundesregierung sah sich in ihren Konsolidierungsbemühungen durch den Sachverständigenbericht bestätigt. Bundeskanzler Schröder nannte des Gutachten eine faire Beschreibung des politischen Handlungsrahmens. "Ich bin dankbar, weil es fair mit den Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung umgeht", sagte er.

Ganz anders die Oppositions-Reaktionen. Aus Sicht der CDU ist die "Aufschwung-Lüge des Kanzlers" geplatzt. "Wirtschaftspolitisch richtet die Bundesregierung immer größeren Schaden für unser Land und die Menschen an - vor allem für diejenigen, die Arbeit suchen", sagte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Auch CSU-Landesgruppenehef Michael Glos sieht "kein Licht am Ende des Tunnels".

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