R.Kiehl: Da wird es aber endlich Zeit...

Landshuter/Straubinger,27.September 2004

Niedersachsen will KMK-Reform erzwingen
Wegen bürokratischer Ineffizienz Ausstieg aus Gremium angedroht –
Kritik aus den Ländern

Frankfurt/Main. (AP/dpa) Niedersachsen will mit einem Ausstieg aus der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Reform des Ländergremiums erzwingen. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) kündigte am Wochenende an, man werde das Abkommen zur KMK in den nächsten Wochen kündigen. Natürlich müsse es die Konferenz weiter geben, allerdings in anderer Form. Die KMK selbst warnte vor einer Gefährdung der Qualität des Bildungssystems.

Wulff verwies in einem Interview auf eine "rechthaberische" Bürokratie, die viel Geld verschlinge. Man müsse über eine effizientere und sparsamere Koordinierung verhandeln, die offener für neue Entwicklungen sein müsse. In der ARD schlug der CDU-Politiker vor, das Einstimmigkeits- durch ein Mehrheitsprinzip zu ersetzen. Kultusminister Bernd Busemann betonte im NDR, man wolle die KMK "wieder auf Kernaufgaben zurückführen".

KMK-Präsidentin Doris Ahnen bezeichnete Wulffs Vorhaben im NDR als "nicht nachvollziehbar". Wer die Kernaufgabe der Konferenz - die Sicherung von Qualität, Vergleichbarkeit, Anerkennung und Mobilität im Bildungssystem - in Frage stelle, gefährde das System und den Föderalismus. Wulff solle sich künftig "erst einmal kundig machen", bevor er "spektakulär" drohe, sagte die SPD-Politikerin einer Zeitung.

KMK-Generalsekretär Erich Thies verwies darauf, daß es entgegen Wulffs Darstellung keinen Staatsvertrag gebe, der gekündigt werden könne. Niedersachsen könne lediglich mit Wirkung zum nächsten Haushaltsjahr aus der Vereinbarung zum Sekretariat der KMK aussteigen.

Die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) warf Wulff in derselben Zeitung "Fahrlässigkeit" vor. Seine Ankündigung sei "ein Schuss vor den Bug des Föderalismus". Der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) nannte die KMK unentbehrlich. Der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) sagte im MDR, es sei unklar, was Niedersachsen bewirken wolle. Eine Koalition in Bildungsfragen sei wichtig.

Auch die Lehrerverbände äußerten Kritik: Die GEW bezeichnete das Vorgehen Niedersachsens als konzeptionslos und bildungsfeindlich, der Philologenverband warnte vor einem Rückfall in "Kleinstaaterei".

Zustimmung kam dagegen von der FDP, die die Abschaffung der KMK in ihrem Parteiprogramm hat. Wulff habe "den Mut gefunden, das jahrzehntelange Trauerspiel KMK zu beenden", erklärte Generalsekretärin Cornelia Pieper. Der saarländische Kultusminister Jürgen Schreier gab in einer Zeitung seinem Parteifreund Wulff Recht, dass die KMK-Bürokratie "ganz sicher schlanker und effizienter werden" müsse.

Die Grünen-Politiker Grietje Bettin und Karl-Martin Hentschel bezeichneten eine Kündigung des KMK-Abkommens als "Riesenchance für die Bildungspolitik": Damit hätten die Länder die Möglichkeit, vom dreigliedrigen Schulsystem wegzukommen. Auch der Deutsche Kulturrat begrüßte, dass die "notwendige Debatte um die Reform der KMK an Fahrt gewinnt".

 HEILSAMER SCHOCK VON WERNER OHL

So groß war die Empörung gar nicht, als der niedersächsische Ministerpräsident Wulff die Kündigung des KMK-Vertrages ankündigte. Denn das Gremium gehört nicht erst seit Pisa auf den Prüfstand. Die beiden wichtigsten Ursachen für die geringere Leistungsfähigkeit des Bildungssystems sind nämlich dieselben wie die für die mangelnde Effizienz der KMK: zu viel Bürokratie, zu wenig Wettbewerb. Das Gremium muss reformiert werden, um das System reformieren zu können.

Zugegeben:Nachdem die Konferenz durch das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler im Pisa-Vergleich massiv unter Druck geraten war, hat sich durchaus etwas getan. Die Verabschiedung bundesweiter Bildungsstandards und der Ausbau der Ganztagsschulen sind wichtige Initiativen. Doch die KMK ist noch viel zu unflexibel und träge. Angesichts der tief greifenden Probleme im Bildungswesen und deren Folgen sind aber Tempo und Entschlossenheit nötig.

Weil Bildung nun einmal eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ist, hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die nötigsten Reformschritte zusammengefaßt: klare Leistungsstandards, mehr Autonomie für Schulen und Lehrer, straffere Lehrpläne, Förderung von Hochbegabten, verstärkte Nutzung der modernen Medien und mehr Nähe zur Wirtschaft. Das alles ist nicht nur nötig, sondern auch möglich. Nur: Schnell muß es gehen.

Deshalb ist es richtig, dass der Niedersachse dem Gremium auf die Sprünge helfen will. Das Einstimmmigkeits- durch ein Mehrheitsprinzip zu ersetzen, wäre der erste Schritt in die richtige Richtung. Und daß die KMK Druck nötig hat, zeigte die Reaktion der Präsidentin auf die jüngsten Anmerkungen der OECD- Doris Ahnen sagte, die Kritik sei "völlig unbegründet". Mit der Reformbereitschaft der KMK ist es also nicht weit her. Der Schock durch Wulff könnte da heilsam sein.

 

Weitere Konfusion in der Bildungspolitik  

Niedersachsens Schlag gegen die Kultusministerkonferenz facht schwelenden Streit an

Es war der FDP-Politiker Jürgen Möllemann, der einst ein Bild für die Kultusministerkonferenz prägte: Diese arbeite gelegentlich mit dem "Tempo einer griechischen Landschildkröte", hatte der gelernte Lehrer einmal gesagt. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle bezeichnet die "schnarchnasige KMK" gerne als "Bremser-Gremium", ihre Abschaffung steht im FDP-Parteiprogramm. Immer wieder gibt es Kritik an dem Gremium, die vom Streit um die Rechtschreibreform noch forciert wurde. Die nun angedrohte Auflösung der KMK sorgt aber im Tauziehen zwischen Bund und Ländern um die Bildungspolitik für zusätzliche Konfusion.Der Anstoß zur Auflösung der Kultusministerkonferenz in ihrer jetzigen Form mit dem Ziel einer Reform kam am Wochenende vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Der CDU-Politiker steht mit dem Gremium seit einiger Zeit auf Kriegsfuß: "Ich bin fassungslos, in welcher Art und Weise die KMK jeden Versuch bekämpft, zu einer Korrektur der mißratenen Rechtschreibreform zu kommen. Das ist an Borniertheit und Abgehobenheit nicht mehr zu überbieten", sagte Wulff vor einer Woche und erklärte, "ganz unabhängig vom Ringen um die Rechtschreibreform" denke er über einen Ausstieg aus der KMK nach.

Der niedersächsische SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Jüttner verspottet nun den eine Woche später tatsächlich angekündigten Ausstieg als Trotzreaktion Wulffs "nach seiner schweren persönlichen Niederlage bei der Rechtschreibreform". Schließlich hätten die Staatskanzleichefs bei ihrem Treffen am letzten Freitag gegen Wulff s Willen beschlossen, an der Rechtschreibreform festzuhalten – was als Vorlage für die Ministerpräsidentenkonferenz am 6. Oktober gilt, die wiederum die Entscheidung der KMK zur Rechtschreibrefonn am 15. Oktober bestimmen wird.Doch ganz unabhängig davon, was Wulffs Gründe für seine Kritik an dem Gremium sind – sein Vorhaben sorgt für komplettes Chaos im ohnehin angespannten Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen. So sagt Wulffs thüringischer CDU-Kollege Dieter Althaus, es sei unklar, was Niedersachsen mit diesem Schritt erreichen wolle. Die Länder brauchten ein Gremium zur Abstimmung in Bildungsfragen, sonst werde der Bund immer mehr Kompetenzen übernehmen. Die hessische Kultusministerin Karin Wolff spricht von einem " Schuss vor den Bug des Föderalismus" und wirft ihrem Parteifreund Christian Wulff sträfliche Fahrlässigkeit vor.Denn eigentlich versuchen die Länder momentan im zaghaften Reformprozess nach dem Pisa-Schock, ihre Bildungskompetenzen gegen den Bund zu verteidigen. Auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) stellt die KMK grundsätzlich in Frage und sieht diese als ungeeignet an, "endlich zeitgerecht wichtige Weichenstellungen zu leisten".

Während Bulmahn versucht, die Zuständigkeit des Bundes bei Bildungsfragen auszubauen, bemühen sich die Länder um das Gegenteil: Mit einer Klage gegen Bulmahns Junior-Professur wegen Kompetenzüberschreitung waren einige unionsgeführte Länder erfolgreich, der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel will gar das Hochschulrahmengesetz abschaffen und die alleinige Verantwortung der Bundesländer für den Hochschulbereich haben.

Unverständnis über Wulffs Absichten herrscht auch bei der KMK selbst: Niedersachsen habe in der Vergangenheit keinerlei Kritik geäußert und alle Beschlüsse mitgetragen, sagt KMK-Generalsekretär Erich Thies. Unklar sei vor allem, ob sich Wulffs Kritik gegen die Kultusministerkonferenz allgemein oder gegen das Sekretariat richte. In beiden Fällen gebe es allerdings keinen Staatsvertrag, der gekündigt werden könne, betont Thies.Zum Vorwurf Wulffs, die Kultusministerkonferenz sei immer bürokratischer und teurer geworden, er wolle einen Teil der 2,5 Millionen Euro, die Niedersachsen jährlich dafür zahle, lieber in Schulen investieren, sagt Thies, Niedersachsen trage etwa zehn Prozent der rund 15 Millionen Euro, mit denen die Länder das Sekretariat finanzieren also 1,5 Millionen Euro. Über den KMK-Haushalt wurden rund 50 Millionen Euro abgewickelt, darunter seien auch Gelder der EU, des Auswärtigen Amtes und der Kulturstiftung der Länder, die das KMK-Sekretariat für zentralisierte Dienstleistungen der Länder verwalte - etwa den Pädagogischen Austauschdienst.

Dieser Dienst organisiere jährlich Austausche mit rund 35000 Teilnehmern in 90 Staaten der Welt, betont KMK-Präsidentin Doris Ahnen. "Da kann man nicht einfach von Bürokratie sprechen, sondern muss sich umfassend informieren. Dafür stehe ich jederzeit gerne zur Verfügung. " MirjamMohr,AP

 

Wulffs KMK-Vorstoß stößt auf geteiltes Echo

Schavan fordert konkrete Vorschläge - SPD warnt vor einemRückfall in die Kleinstaaterei

Berlin. (dpa/AP) Die Drohung Niedersachsens mit einem Ausstieg aus Kultusministerkonferenz (KMK) ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Baden-Württembergs Kultusministerin Annette Schavan (CDU) forderte am Montag konkrete Neuordnungsvorschläge von Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). Die SPD-Fraktion im Bundestag warnte vor einem Rückfall in die Kleinstaaterei. Die FDP und Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) zeigten Verständnis für die Kritik an der KMK. Schavan betonte, die von Niedersachsen kritisierten Punkte würden seit langem in einer Arbeitsgruppe zur Reform der KMK diskutiert. "Bislang gab es von Seiten Niedersachsens aus noch keine Kritik an dieser Arbeit." Es drohe bei einem Ausstieg Niedersachsens keine Auflösung der KMK, sagte sie der dpa.

Das Vorgehen Niedersachsens ist nach den Worten von SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter "eine Versündigung an Kindern und Familien". Berufliche Mobilität werde erschwert. Die KMK werde dringend gebraucht. Der Bildungsexperte der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, kritisierte: "Die ersatzlose Aufkündigung derLänderkooperation im Rahmen der KMK wäre nichts anderes als der endgültige und vollständige Rückfall in die Kleinstaaterei."Der Grünen Chef Reinhard Bütikofer kritisierte Wulffs Schritt als "nicht zu Ende gedacht". Die KMK sei zwar "zu unbeweglich", doch sei mit einem Ausstieg das Problem "an der falschen Stelle angepackt". Die nordrhein-westfälische Schulministerin Ute Schäfer kritisierte, Wulff mache "Schlagzeilen statt Politik", Ein Ausscheren Niedersachsens wäre ein Rückfall in Kleinstaaterei, sagte die SPD-Politikerin. Wulff dagegen hat die von ihm geplante Aufkündigung der Kultusministerkonferenz erneut verteidigt. Die Notwendigkeit einer Reform der Konferenz werde selbst von Kritikern einer Kündigung nicht bestritten, sagte er am Montag. "Das zeigt, wie wichtig es ist, Druck zu machen." Glücklicherweise reiche es aus, wenn ein Land durch Kündigung und Neuverhandlung der Vereinbarung die anderen Länder unter Druck setze. Der Ministerpräsident betonte, daß die Kritik an der Kündigung nur aus den Reihen der Kultusminister komme. Die FDP begrüßte Wulffs Vorstoß. Es sei überfällig, die bürokritische KMK zu entmachten, sagte FDP-Chef Guido Westerwelle und bekräftigte damit eine FDP-Forderung. Die Kultusministerkonferenz löst keine Probleme, sie ist das Problem". Kulturstaatsministerin Weiss sagte:"Die Reformbedürftigkeit KMK ist seit Jahren evident". Sie mahnte eine engere Zusammenarbeit mit dem Bund in Kulturfragen an. Eine Reform sollte auch vor dem "Einstimmigkeitsdogma" nicht halt machen", erklärte Weiss. Die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier sagte, man wolle keinen zentralistischen Einheitsbrei in der Bildungspolitik. Die nötige Abstimmung der Länder müße effizient und unbürokratisch sein, sagte die CSU-Politikerin. Der Schritt Niedersachsens zwinge die KMK zu einer raschen Neuordnung.

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