Straubinger, 6.Juni 2005

Warum Deutschland "rote Laterne" trägt
Der Wirtschaftsweise Professor Wiegard und seine Rezepte für den Standort Deutschland

Cham. (wf) Wenn er sich einleitend selbst als Spaßverderber ankündigte, dann hatte er nicht zuviel "versprochen": Schonungslos legte Professor Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung, bei seinem Festvortrag zum 100.Geburtstag der Raiffeisenbank Cham-Roding am Freitag im Galazelt am Volksfestplatz dar, woran es krankt am Standort Deutschland. Um im gleichen Atemzug Kurskorrekturen anzumahnen, von der Einführung eines Niedriglohnsektors bis zur Unternehmenssteuerreform.

Direktor Günther Zollner ahnte wohl schon, was das Mitglied der "fünf Wirtschaftsweisen", wie der Sachverständigenrat auch genannt wird, zu sagen hatte. Denn er zitierte in der Ankündigung Cicero, der im Jahr 55 vor Christus die Römer aufforderte, "mehr zu arbeiten, weniger auf Kosten des Staates zu leben, Bürokratie und Staatsverschuldung zu verringern".

Professor Wolfgang Wiegards Ausgangspunkt war die Fragestellung, warum Deutschland beim Wirtschaftswachstum hinter den anderen europäischen Ländern her hinkt. "Rund zwei Drittel der Differenz ist unmittelbare Konsequenz der Wiedervereinigung", so der Wirtschaftsweise. Rund eine Billion Euro netto sei zwischen 1991 und 2003 von den alten in die neuen Bundesländer transferiert worden, derzeit wären es noch 85 Milliarden Euro jährlich.

Das Problem, fuhr Wiegard fort, sei zudem, daß 15 von diesen 85 Milliarden nicht, wie festgelegt, in investive Maßnahmen fließen, sondern zur Deckung konsumptiver Ausgaben, beispielsweise zur Finanzierung des Personalüberhangs im öffentlichen Dienst, verwendet werden.

Der Euro dagegen sei nicht schuld an der deutschen Wirtschaftsmisere, so der Professor weiter. Denn die Währungsunion nutze allen beteiligten Nationen, wenn auch den anderen Ländern mehr als Deutschland. Aufgrund der Nominalzins-Konvergenz müssten die übrigen EU-Länder niedrigere Zinsen für ihre Staatsschulden zahlen, bekämen dadurch Mittel frei für Steuersenkungen und Infrastrukturprogramme. Das wiederum fördere den Inlandskonsum.

Hinzu komme die Divergenz bei den realen Zinsen. Da Deutschland die niedrigste Inflationsrate hat, seien die Realzinsen am höchsten. Ganz anders in den übrigen EU-Ländern. Dort sei die Inflationsrate teilweise so hoch wie die Realzinsen, so daß Investoren zum Beispiel beim Erwerb von Immobilien real keine Zinsen zahlen.

Dagegen profitierte Deutschlands Export von der Fixierung der nominalen Wechselkurse durch die Einführung des Euro. Dadurch habe sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportunternehmen auf dem Weltmarkt deutlich verbessert.

Der Euro, so stellte Professor Wiegard resümierend fest, erkläre nicht die deutsche Wachstumsschwäche, ein Austritt aus der Währungsunion sei völlig absurd. Andererseits aber habe sich der Euro zu einem Wachstumsprogramm für die anderen Länder der Währungsunion entwickelt.

Für Professor Wiegard führt in Deutschland kein Weg an einer Unternehmenssteuerreform vorbei.Denn: die Gewinne deutscher Kapitalgesellschaften unterlägen der höchsten Steuerbelastung in ganz Europa. Auch bei der effektiven Steuerbelastung sei Deutschland absolute Spitze in der EU.

Auf die Einführung von Mindeststeuersätzen in Europa zu hoffen, bezeichnete Wiegard als Zeitverschwendung. Denn die übrigen Nationen würden kaum ihre Vorteile freiwillig aufgeben. Deshalb sei die einzige Alternative, Steuersätze auf unternehmerische Gewinne in Deutschland zu senken, was auch für Personen- und Einzelunternehmen gelten müsse.

Als Gegenfinanzierung kann sich das Mitglied des Sachverständigenrates durchaus eine Anhebung der Mehrwertsteuer vorstellen, aber nur wenn diese eingebettet ist in ein Gesamtkonzept, das die Reform der sozialen Sicherungssysteme sowie die Senkung der Unternehmenssteuern beinhaltet. Konzepte in dieser Richtung vermißt Wiegard aber bei allen im Bundestag vertretenen Parteien.

In Sachen Ankurbelung des Arbeitsmarktes sind für Professor Wiegard Mindestlöhne definitiv das falsche Rezept. Seiner Ansicht nach führt vielmehr kein Weg an der Schaffung eines Niedriglohnsektors vorbei Denn: geringe Arbeitsproduktivität könne nun einmal nicht hoch entlohnt werden, da ansonsten diese Arbeiten ins Ausland vergeben werden.

Nach Ansicht des Professors sind auch die Lohnersatzleistungen in Deutschland immer noch zu hoch. "Statt des Lohnersatz- brauchen wir ein Lohnergänzungssystem", so Wiegard. Wenn also der Niedriglohn nicht ausreicht, um eine vierköpfige Familie zu unterhalten, sollten Lohnsubventionen gewährt werden.

 

Komm.R.Kiehl: Lieber Kollege Wiegard ...einfacher wäre für alle (!) verständlicher...was nicht heißt, daß ich mit allem einverstanden bin, was Sie versuchen zu erklären... Sehen Sie meine verschiedenen Kommentare zu diesem Thema unter meinem E-Journal www.rki-i.com ...

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