Straubinger, 30.Nov2004

RÜCKSCHLAG

VON DANIEL WECHTER

Das Tauziehen um die Senkung der Krankenkassenbeiträge ist noch nicht beendet, da zeichnet sich bereits ein herber Rückschlag ab: Die Arzneimittelhersteller wollen die weitgehende Verschonung von Reformmaßnahmen offensichtlich nicht honorieren und planen mehr oder weniger kräftige Preiserhöhungen für Arzneimittel. Da müssen sich bei ständigem Druck durch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sehr wohl überlegen, ob sie für Beitragssenkungen einsetzen können, was von den erwarteten Überschüssen nicht für die Schuldentilgung eingesetzt wird.

Es sieht für die Versicherten nicht gut aus, wenn - was die Kassen befürchten - die Ausgaben für Arzneimittel um 200 Millionen Euro steigen. Die Folgen wirken weit über den Gesundheitsbereich hinaus. Denn was den Versicherten durch höhere Arzneimittelpreise bei Zuzahlungen abgeknöpft und durch nicht sinkende Beiträge an Bargeld vorenthalten wird, fehlt beim Konsum an anderer Stelle. Das trifft Rentner besonders. Ihnen steht eine neue Nullrunde bevor. Die Arzneimittelhersteller schöpfen Kaufkraft nach dem Motto ab "wer zuerst kommt, mahlt zuerst". Ihre Begründung bleibt gleichwohl fadenscheinig. Denn die hohen Forschungsaufwendungen hindern auch die in Deutschland produzierenden Pharmahersteller nicht, ihre Produkte in anderen Ländern deutlich preiswerter zu verkaufen als in Deutschland. Bleibt das so, werden sämtliche Bemühungen um eine alle Beitragszahler entlastende Senkung der Gesundheitskosten zur Sisyphus-Arbeit letztendlich ohne Ergebnis.

 

VDI nachrichten, 03.Dezember 2004

Niederlage Für Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, den unermüdlichen Protagonisten der Mini-Jobs, ist die Studie, die das Rheinische-Westfälische Institut für wirtschaftsforschung (RWI) diese Woche vorgelegt hat, eine Niederlage. Zwar seien durch Mini-Jobs "viele zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten entstanden", doch hätten sie für Arbeitslose kaum als Brücke für eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt gedient. Die meisten Mini-Jobber seien Schüler, Studenten, Auszubildende, Hausfrauen und Rentner. 15 % waren vor der Reform sozialversicherungspflichtig beschäftigt - bezogen auf die derzeit rund 7,9 Mio. Mini-Jobber wären das 1,2 Mio. Für die RWI-Forscher ein Indiz, dass viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Mini-Jobs umgewandelt wurden. Für gering Qualifizierte, die eine Vollzeitstelle brauchen, ist das eine verheerende Entwicklung. So scheint einzutreten, wovor der Wirtschaftsweise Peter Bofinger schon vor Monaten warnte: Mini-Jobs sind Arbeitsplatz-Killer. has

Stückwerk

Auf dem CDU-Parteitag Anfang nächster Woche soll die Kopfpauschale beschlossen werden. Damit wird ein Konzept abgesegnet, zu dem die Union aus Sicht von Kommunikationsexperten eine "desaströse" Vorstellung gegeben habe. Diese Einschätzung stammt von der CDU-Chefin Angela Merkel höchst persönlich. Die Analyse ist unstrittig, doch denkt Merkel das Problem nicht weiter - zumindest nicht laut. Der Streit zwischen CDU und CSU ist vor allem deshalb desaströs, weil die Union mit den verschiedensten Versionen ihrer Kopf- und Krankenkassen-Pauschale Stückwerk liefert. Die Finanzierung ist völlig offen. Nach und nach stellt sich heraus, dass die Kopfpauschale im Gegensatz zur bisherigen Krankenversicherung viele Leistungen gar nicht mehr abdeckt - zum Beispiel das Krankengeld. Die Kopfpauschale kann nur noch mit viel Wohlwollen als schlüssiges Konzept gesehen werden. Die Inhalte treten zurück und verschwinden - oder, wie die Physikerin Merkel im anderen Zusammenhang sagte: Wenn Inhalte fehlen, hilft die beste Inszenierung nicht. ro

 

Gesundheitsreform: PKV-Chef Reinhold Schulte
Kein Zwang zur Kopfpauschale

VDI nachrichten, Dortmund, 3.12. 04 -
Die CDU will auf ihrem Parteitag am Wochenende eine Kopfpauschale für das Gesundheitssystem beschließen. Mitglieder privater Krankenversicherungen können allerdings nicht gezwungen werden, dieser Einheitsversicherung beizutreten, meint Reinhold Schulte, Vorsitzender des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen (PK-V).

VDI nachrichten: Herr Schulte, wie stehen die privaten Krankenversicherungen zur Bürgerversicherung und zur Kopfpauschale?

Schulte:Weder die Vorstellungen der Bundesregierung noch der Opposition werden voraussichtlich in der aktuell diskutierten Form umgesetzt werden. Ich persönlich halte beide Ansätze für falsch. Den Vorschlägen fehlt das Moment der Nachhaltigkeit, um das Gesundheitssystem langfristig wetterfest zu machen. In den jüngsten Prognosen haben die Aktuare hochgerechnet, dass ein jetzt neugeborenes Mädchen eine statistische Lebenserwartung von 102, ein neugeborener Junge von 98 Jahren hat. Da statistisch gesehen mit dem Alter auch die Krankheitskosten steigen und der prozentuale Anteil älterer Menschen auf Grund des medizinischen Fortschritts zukünftig deutlich ansteigen wird, lässt sich das derzeitige System nicht aufrecht erhalten.

VDI nachrichten: Welche Alternative haben Sie?

Schulte:Eine abrupte Veränderung im Gesundheitswesen, wie ihn die Kopfpauschale oder Bürgerversicherung bedeuten würden, löst nicht die Probleme. Wir müssen das Gesundheitssystem schrittweise reformieren. Und das geht nur mit der privaten Krankenversicherung (PKV). Denn obwohl privat Krankenversicherte nur 10 % der Patienten stellen, finanzieren sie in vielen Fällen rund 30 % bis 35 % der Praxis-Etats. Da, wo es keine oder kaum Privatpatienten gibt - beispielsweise in vielen neuen Bundesländern geben viele Ärzte auf.

VDI nachrichten: Was schlagen Sie im Einzelnen vor?

Schulte:Der PKV-Verband hat ein A1ternativmodell zu den genannten vorgestellt: Unser Vorschlag sieht im Kern so aus, dass jeder freiwillig gesetzlich Versicherte künftig bis zum 55. Lebensjahr jederzeit ohne Risikoprüfung und mit Annahmezwang in einen Basisschutz der PKV wechseln kann. Vorerkrankungen führen weder zum Versicherungsausschluss noch zu Risikozuschlägen. Dies gilt entsprechend für die private Pflegepflicht- und die Krankentagegeldversicherung. Der Basistarif bietet einen umfassenden privaten Versicherungsschutz. Er ist mit Alterungsrückstellungen kallkuliert, demographiefest und generationengerecht. Unser Vorschlag brächte mehr Kapitaldeckung und damit auch mehr Demographiesicherheit und Nachhaltigkeit im Gesundheitssystem insgesamt.

VDI nachrichten: Es wird vermutet, Hintergrund für die Reformideen von Regierung und Opposition sei die Absicht der Politik, an die Rückstellungen der privaten Versicherungsunte- nehmen von rund 85 Mrd. E zu kommen, um damit das Gesundheitssytem für einige Jahre sanieren zu können.

Schulte: Das will ich nicht unterstellen. Tatsache aber ist, dass unsere Kalkulation mit Kapitalrückstellungen dem Umlagesystem der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), das keine Rücklagen vorsieht, überlegen ist. So haben wir beispielsweise bei der privaten Pflegeversicherung die Beiträge seit Gründung drei Mal gesenkt. Die umlagenfinanzierte gesetzliche Pflegekasse steuert dagegen auf einen finanziellen Engpass zu.

VDI nachrichten: Die privaten Krankenversicherungen werden zum Jahreswechsel erneut teurer, die Signal Iduna beispielsweise um durchschnittlich 2 %. Würden Versicherte denn nicht mit einer Bürgerversicherung oder Kopfpauschale billiger davon kommen?

Schulte:Lassen Sie mich eins vorweg schicken: Zwar werden die meisten privaten Krankenversicherer ihre Beiträge anpassen, doch dürfen Sie nicht vergessen, dass auch die gesetzlich Krankenversicherten im kommenden Jahr mit weiteren Belastungen rechnen müssen. Schließlich verteuert sich ihr Versicherungsschutz zum 1. Juli 2005 um rund 6 %, da für Zahnersatz und Krankengeld der Arbeitgeberzuschuss wegfällt. Bürgerversicherung und Kopfpauschale lösen nicht die Hauptprobleme unseres Gesundheitswesens, wie die bereits erwähnte fehlende demograhische Vorsorge und die Kostensteigerungen. Beide Modelle schaffen also nur vorübergehend Entlastung, werden aber endgültig nichts dazu beitragen, dass sich die GKV langfristig aus ihrem finanziellen Engpass befreien kann: Wer hier für die Zukunft weitere Beitragssteigerungen prognostiziert, muss kein Prophet sein.

VDI nachrichten: Kann ein privatversicherter - beispielsweise ein Beamter in eine Bürgerversicherung oder zur Kopfpauschale gezwungen werden?

Schulte:Wir haben das verfassungsrechtlich prüfen lassen. Alle privat Krankenversicherten genießen Vertrauensschutz für ihre Verträge. Niemand von ihnen könnte in die Bürgerversicherung oder ein Kopfpauschalen-System gezwungen werden. Auch dieses Argument spricht für eine evolutionäre Entwicklung unseres Krankenkassen-Systems. Dabei will ich nicht müde werden, eines zu betonen: Veränderung tut Not. Wir können die Absicherung des Krankheitsrisikos in der bestehenden Form finanziell nicht mehr lange durchhalten. Das ist eine Wahrheit, die die Politik auch den Wählern so übermitteln sollte.

MARTIN ROTHENBERG

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