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Mittelbayerische Zeitung Verbraucher-Journal Dienstag, 16.September 2003

Wenn der Arzt teure "Extras" verkaufen will

Zusatzbehandlungen: Nachfrage bei der Kasse lohnt sich
VON BERRIT
GRÄBER, AP

MÜNCHEN. Während die Politik noch erbittert um ein Fundament für das Gesundheitswesen der Zukunft ringt, ist in deutschen Praxen längst schon ein neuer Trend auf dem Vormarsch: Der Verkauf medizinischer Extras.

Immer häufiger passiert es Kassenpatienten, dass ihr Arzt ihnen Sondertherapien, Vorsorgeuntersuchungen oder Zusatzbehandlungen anbietet, die privat bezahlt werden müssen, angeblich mehr Qualität bieten und nicht mehr über Chipkarte abgerechnet werden können. Die Hälfte der Ärzte versuche inzwischen, mit solchen Zusatzeinnahmen die eigene wirtschaftliche Situation aufzubessern, schätzt Daniela Hubloher, Gesundheitsexpertin der Verbraucherzentrale Hessen.

Marketing-Firmen böten Medizinern und Helferinnen Seminare an. Damit könnten "Verkaufsgespräche" trainiert werden, am Empfangstresen oder im Behandlungsstuhl. "Das ist eine neue Dimension im Verhältnis zwischen Arzt und Patient", sagt Hedwig Telkamp, Verbraucherschützerin in München. Sie mahnt zur Vorsicht: Statt Vertrauen in den Mediziner sei Zurückhaltung gegenüber dem Unternehmer angesagt.

"Bloß nicht unter Druck setzen lassen, schon gar nicht in der Praxis", meint auch Hubloher. Denn so manche Leistung, die extra gehen soll, wird womöglich doch von der Kasse bezahlt. Was Mediziner auf Privatrechnung anbieten, heißt abgekürzt "Igel": Individuelle Gesundheits- leistungen. Sie wurden 1998 eingeführt und umfassen alles, was nicht medizinisch notwendig ist. Dazu gehören beispielsweise die Anti-Aging-Medizin, kosmetische Eingriffe oder das Entfernen von Tattoos. Gynäkologen offerieren auch Extra-Blutbilder, Krebsvorsorge- wie Ultraschallunter- suchungen oder Zusatzdiagnostik für Schwangere.

Augenärzte raten zur separaten Glaukom-Untersuchung auf private Rechnung, Hausärzte bieten reisemedizinische Beratung gegen Bares, Dermatologen ein Extra-Hautscreening. Zahnärzte legen ihren Patienten Prophylaxemaßnahmen dringend ans Herz, "über die vor drei Jahren nicht geredet wurde", wie die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg kritisiert. Die Kosten für die Extras schwanken immens.

Wichtig zu wissen für Patienten ist: Nicht alle offerierten "Igel" fallen aus dem Leistungskatalog der Kassen. Grenzfälle sind möglich. Ein kurzer Anruf bei der Kasse kann Geld und Ärger ersparen. Die meisten halten eine Hotline für Rückfragen bereit. So braucht niemand privat zu zahlen, wenn bei ihm ein begründeter Verdacht auf Hautkrebs besteht. Liegt ein auffälliger Tastbefund oder erbliche Vorbelastung vor, muss auch keine Mammographie aus der eigenen Tasche bezahlt werden.

"Für die Zukunft heißt das: Patienten müssen sich immer schlau machen und nicht blind auf die Empfehlungen der Ärzte-Unternehmer vertrauen", betont Telkamp. Argumente, gegen einen Aufpreis "in besserer Qualität" oder durch "besondere Geräte" behandelt zu werden, müssten sehr kritisch gesehen werden. Von Rechts wegen gilt nämlich: Ärzte dürfen Kassenleistungen nicht aus finanziellen Gründen einfach privat in Rechnung stellen. Auch Ultraschall-Untersuchungen sind zuweilen "Igel' und dann nach der Definition ..........................................................medizinisch nicht notwendige Leistungen.
Foto: dpa-ArchivRedaktion., Bernhard Fleischmann, e-mail:befleisc@mz.donau.de